Heute waren wir die Akteure.
Der Tag fing schon damit holprig an, dass Anna und Linn aus ihrer Gästekoje krochen, völlig übernächtigt, und sagten, sie hätten kein Auge zugemacht, hätten komische Geräusche gehört (den Windgenerator, vermutlich) und sich eingeengt gefühlt. Ich würde gerne mit ihnen draußen sitzen und in Ruhe gucken, was los ist, aber es ist zu viel zu tun. Jorge, ein Fischer aus Tarrafal, Santo Antao, der gerade in Mindelo war und heute mit uns zurückfahren möchte, steht bereits mit gepackter Tasche am Steg. Und wir müssen noch aufräumen, letzte Einkäufe machen, Kinderwagen und Fahrrad verstauen... Jorge wartet geduldig. Anna und Linn gehen spazieren, um sich zu sammeln. Michi schuftet wie ein Irrer, flitzt durch die Gegend um Brot und Gemüse zu besorgen, ich tröste eine quengelige Kaya, die partout nicht einschlafen möchte.
Als Anna und Linn zurückkommen, haben sie sich entschieden: Sie fahren doch lieber nicht mit. Anna ist in Tränen aufgelöst, es tue ihr alles so leid, wir hätten sie so herzlich aufgenommen und so viel für sie getan und so viel Arbeit gehabt, aber sie habe gar nicht geschlafen und es wäre gerade alles zu viel und vielleicht doch zu eng an Bord und so. Es ist zwar frustierend, dass sie nun doch nicht mitkommen, weil ich mich schon so auf die Gesellschaft und Hilfe gefreut hatte, und weil wir uns so bemüht hatten, Boot und Vorräte für 4 einzurichten, aber ehrlich gesagt ist es mir dann doch lieber, sie merken jetzt, dass sie das Leben an Bord überfordert, als in einer Woche, wenn wir bereits mitten auf dem Atlantik sind.
Jedenfalls bedeutet das nun, dass Michi mit ihnen wieder zur Immigrationsbehörde muss, um sie von der Crew-Liste offiziell zu entfernen, dass sie ihre Koje wieder räumen müssen, ihre Gitarre aus der Halterung nehmen, die Michi gestern Nacht noch an der Salondecke konstruiert hatte, und wir uns wieder völlig neu sortieren müssen. Jorge wartet geduldig weiter.
Es ist schon 14 Uhr, als wir endlich bereit sind, die Leinen loszuwerfen. Jetzt aber zügig. Nach Tarrafal sind es etwa 4 Stunden, um halb 7 wird es dunkel, und wir wollen vor Einbruch der Dunkelheit da sein. Letzte Umarmungen, Anna und Linn stehen am Steg und winken, Kaya schläft (endlich!) friedlich unter Deck, Jorge hilft mit den Leinen am Heck, ich stehe am Bug und werfe die Mooringleine los. Alle winken. Plötzlich ein komisches Geräusch an der Schraube, Ölflecken im Wasser, aufgeregte Rufe vom Steg, Michi hechtet zum Zündschlüssel und macht den Motor aus. Die Schraube hängt in der Mooringleine. Zum Glück ist wenig Wind, der unser jetzt manövrierunfähiges Boot gegen andere Schiffe schieben könnte. Michi wirft den sich am Steg ansammelnden Menschen Leinen zu, mit denen sie uns zurück zum Steg ziehen können. Ein Junge springt ins Wasser und taucht unter unser Schiff, kommt zurück und sagt, das könne er nicht entwirren, zu fest verknotet. Dann taucht Michi. Mehrfach. Mit einer Hilfsleine, die jemand vom Nachbarboot annimmt und unter Zug setzt, lässt sich die Spannung aus dem Mooringtau nehmen. Nach und nach löst sich der Knoten. Uff! Nichts passiert, kein schlimmerer Schaden, aber nach Tarrafal brauchen wir heute nicht mehr zu fahren. Zu spät. Jorge nimmt seine Tasche und geht nach Hause. Er kommt morgen wieder. Ich bringe Kaya in den Kindergarten. Go with the flow. Auch das lernt man hier: Sich schnell neuen Gegebenheiten anzupassen. Dann fahren wir eben morgen.
Und genießen heute noch einmal den Abendhimmel über der Marina von Mindelo.
Wahrscheinlich ist das hier erstmal einer der letzten Blogeinträge. In Tarrafal gibt es nicht mal Funknetz. Wahrscheinlich melden wir uns das nächste Mal von Fernando de Noronja, Brasilien. In etwa 6 Wochen. Bis bald!!
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