Die ersten Tage sind voller Aufregung. Afrika! Ich bin in Afrika! Obwohl die erfahrenen Globetrotter immer wieder betonen, das hier sei gar nicht wirklich Afrika, sondern eigentlich noch viel zu europaeisch und so weiter und so weiter, finde ich es afrikanisch genug, um aufgeregt zu sein.
Die Luft vibriert in der Hitze. Frauen in bunten Kleidern laufen mit grossen Koerben auf dem Kopf durch die Gassen und bieten Fruechte, Gemuese, Zigaretten an. Einkaufen wird zu einem ganz neuen Erlebnis.
Und abends versinkt die afrikanische Sonne malerisch hiner den in der Marina und in der Ankerbucht vor sich hinduempelnden Schiffen…
Es gibt einiges zu organisieren in diesen ersten Tagen: Einklarieren, zur Polizei, zum Zoll, zur Immigrationsbehoerde, Vorraete aufstocken, aufraeumen an Bord – und natuerlich neue Freunde finden. Trotz der Begeisterung, die mit der Euphorie des Ankommens und Entdeckens einhergeht, fallen mir die ersten Tage an einem neuen Ort immer auch ein bischen schwer. Ich kenne noch niemanden und ich weiss noch nicht, wo was ist (wo kann man Waesche waschen, wo was zu essen einkaufen, wo mit Kaya spielen, wo spazieren gehen, wo ausruhen, wo gute Musik hoeren…). Und jedes Mal hat das Ankommen fuer mich auch einen Stich von Heimweh nach dem Ort, den wir gerade verlassen haben, den ich mir schon so vertraut gemacht hatte. Ich weiss, dass ich mir auch einen neuen Ort mit der Zeit wieder vertraut machen werde, dass ich Stellen finden werde, die ich lieb gewinnen werde, Menschen treffen werde, die ich schaetze, meine Orientierung gewinnen werde – aber egal wie oft ich das schon erlebt habe, egal wie oft ich mir sage, dass es auch hier wieder so sein wird, die ersten Tage bleiben schwer und es ist immer auch ein bisschen Sorge dabei, dass es vielleicht diesesmal anders sein wird. Dass ich diesen Ort nicht lieb gewinnen werde. Die ersten Tage sind immer auch ziemlich einsam.
Um so schoener ist es, wenn man dann auf Menschen trifft, die die Sorge der ersten Tage ein bisschen zerstreuen. So geht es mir nun mit dem hollaendischen Paerchen, die wir auf dem Steg treffen. Sie sind eigentlich mit den Fahrraedern unterwegs, sind bereits von Holland nach Portugal geradelt, dann mit der Faehre nach Gran Canaria uebergesetzt, haben dort mit viel Glueck ein Boot gefunden, dass sie und Ihre Raeder mit nach Brasilien nimmt, und machen nun nur einen kurzen Zwischenstopp auf Sao Vicente. Morgen oder uebermorgen geht es weiter nach Rio. Und dann radeln sie quer durch Suedamerika. Respekt!
Wir verbringen einen guten Abend miteinander. Ich mag sie und wuerde gerne noch laenger mit ihnen gemeinsam reisen. Aber am uebernaechsten Tag ist der schicke Katamaran mit der brasilianischen Flagge verschwunden. Einfach wieder weg. Auf dem Weg nach Rio. Und ploetzlich ist die gerade noch zertreute Einsamkeit wieder da. Vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer als vorher.
Aber zum Glueck ist ja da auch noch Milan, der deutsche Segler, der auf den Kapverden haengen geblieben ist und nun mit seiner kapverdianischen Frau hier lebt und mit dem wir schon vor unserer Ankunft Kontakt aufgenommen hatten. Wir essen gemeinsam in einem netten Café gegenueber der Marina und er hat jede Menge gute Tipps fuer uns.
Und Verstecken spielen kann man hier auch prima!
Die naechsten, die wir kennen lernen, sind Susi und Tom, die auf einem lustigen Katamaran in der Ankerbucht leben. Wie die meisten Reisebekanntschaften ist auch diese sehr kurz. Sie wollen in ein paar Tagen nach Deutschland fliegen, haben dann alle moeglichen Jobs zu tun und kommen erst im Februar wieder. Aber immerhin verbringen wir einen guten Nachmittag mit ihnen auf ihrem Boot. Da muessen wir allerdings erstmal hinkommen. Das kleine Dinghy, mit dem Tom uns durch die Ankerbucht rudert, wirkt auf den ersten Blick ein bisschen unheimlich…
…aber es macht seine Arbeit gut und bringt uns sicher zu das vor Anker liegende Boot. Hier gibt es Tee,..
…und einen tollen Blick auf die Stadt.
Waehrend die Jungs sich hinter den Computer verkriechen, um Musik und Filme auszutauschen, machen die Frauen die Kinderbetreuung. Ich beobachte immer wieder, dass das Leben auf dem Boot zu einer ungewoehnlich archaischen Rollenverteilung fuehrt. Aber gerade stoert es mich wenig. Ich lunger viel lieber auf dem grossen Katamarannetz rum und sehe zu, wie Susi und Kaya Fische entdecken, als vor einem Bildschirm zu hocken.
Abends sind wir alle bei Milan und seiner Familie zum Essen eingeladen.
Ausser Susi und Tom und uns ist auch Petra da, eine Tschechin, die vorruebergehend bei Milan wohnt, waehrend sie versucht, ihr Leben zu sortieren. Sie ist viel gereist, hat hier und da gelebt, war gerade nach Brasilien gezogen, um dort als Englischlehrerin eine Weile zu arbeiten, da traf sie auf Jens, verliebte sich, segelte mit ihm an der Suedamerikanischen Kueste entlang und dann ueber den Atlantik zu den Kapverden. Hier angekommen, stellte sie die Beziehung in Frage und zog erstmal zu Milans Familie. Das Spannendste am Reisen, viel spannender als fremde Kulturen, Palmen, Straende und so weiter, sind die Lebensgeschichten, denen man begegnet. Wenn ich ein Buch ueber unsere Reise schreiben wuerde, ich glaube, ich wuerde keinen Reisebericht schreiben, ich wuerde eine Sammlung von Portraits zusammenstellen.
Petra kommt in den naechsten Tagen immer mal wieder bei uns vorbei. Wir essen zusammen, reden, sitzen abends barfuss an Deck und geniessen die erfrischend laue Nachtluft, die die flirrende Hitze des Tages abloest. Manchmal nimmt sie mir Kaya ab, wenn ich gerade viel zu tun habe. Besonders an unserem grossen Waschtag ist das eine gute Hilfe! Ich kann in Ruhe Waesche an die Reling klipsen und Kaya kann mit Petra ueber den Steg toben.
Waehrend ich das hier schreibe, faellt mir auf, dass die ersten Tage eigentlich gar nicht so schlecht waren. Wir hatten Gesellschaft, wir hatten Spass, wir hatten viel zu tun. Und wir leben in einem Klima, in dem wir den ganzen Tag in Flipflops rumlaufen koennen. Kaya und ich sind nun endlich auch mit Havaianas versorgt!
Aber die Stimmung der ersten Tage haelt nicht an. Nach und nach bekommen wir alle, Michi zuerst, dann ich, dann Kaya, den “Kapverden-Virus” mit Magenkraempfen und Durchfall. Auch unsere frisch gewonnenen Kontakte broeckeln weg: Milan fliegt nach Deutschland, Susi und Tom auch. Es ist ploetzlich wieder ziemlich einsam. Ich weiss nicht, wohin mit mir und dem Kind in der brutzelnden Hitze. Wo spielen? Wo ausruhen? Es gibt keinen Ort fuer uns, keine Geborgenheit. An Bord ist immer wieder Chaos, wir schuften und schuften, aber das Chaos ist hartnaeckiger. Es ist nicht wie in einer Wohnung, wo man die Tueren eines chaotischen Zimmers zumachen kann und ein anderes gemuetlich aufraeumen koennte. Das geht an Bord nicht. Eigentlich gibt es nur einen wirklichen Raum, den Salon, und da legen wir unsere Taschen ab, spielen mit dem Kind, essen, wickeln, kuscheln, lesen, verstauen unsere Vorraete. Immer wieder klettere ich ueber Waeschetueten, stapel Geschirr von einer Ecke in die andere, stopfe Kinderspielzeug in die Netze. Ausserdem ist hier der einzige Gang, die einzigen Quadratmeter Stehhoehe fuer uns, die einzigen Meter Rennflaeche fuer Kaya. Kollisionen sind unvermeidbar. In diesem Chaos nun steht mein plaerrendes Kind auf dem Sofa und kotzt. Selber mit den Magenkraempfen ringend, wische ich alles sauber, troeste, wimmere aber zugleich selbst mit Kaya um die Wette. Was um alles in der Welt mache ich hier? Die Aerztin, zu der wir schliesslich in unserer Ratlosigkeit gehen, verschreibt ratz-fatz Antibiotika. Egal, ich wuierde jetzt auch Motorenoel schlucken, wenn dafuer dann die Bauchkraempfe aufhoeren wuerden. Zwei oder drei Tage vergehen in einer Art Leidenstrance. Michi kuemmert sich ruehrend um uns, kocht Reissueppchen fuer das Krankenlager und erinnert uns regelmaessig daran, unsere Medizin zu nehmen. Und Petra kuemmert sich auch ruehrend. Sie kommt immer wieder vorbei, geht mit uns spazieren, hoert zu, spielt mit Kaya. Krank und frustiert sein ist nicht mehr ganz so schlimm, wenn es liebevolle Menschen gibt, die mitfuehlen. Und Petra hat Recht: Auf dem Boot zu hocken und zu jammern hilft ja auch keinem. Da gehen wir lieber mal an den Strand zusammen.
Und tatasaechlich erholen wir uns wieder. Unsere Maegen werden gesuender, meine Nerven staehlern sich wieder. Trotzdem finde ich, dass wir mal etwas ganz anderes machen muessen. Morgen nehmen wir die Faehre rueber nach Santo Antao, der Nachbarinsel. Backpacken. Wandern. Ausruhen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen