Wir lassen uns Zeit mit der Abfahrt. Immerhin liegen nun wahrscheinlich 7 Tage offenes Meer vor uns. Da geniesse ich noch jede Minute festen Boden! Laufe noch einmal an der Promenade von La Restinga entlang, kaufe frisches Brot (das wird es nun eine Woche lang nicht mehr geben), plaudere hier und da mit all den netten Menschen (auch andere Menschen wird es nun eine Woche lang nicht geben!) und sammele Kraft fuer die Ueberfahrt.
Gegen 4 Uhr nachmittags schliesslich sind wir bereit. Julien, Hanane und Alejandro helfen mit den Leinen und bleiben winkend am Steg stehen, langsam immer kleiner werdend, waehrend wir durch die Hafenausfahrt dem Unbekannten entgegenwanken. Das Meer begruesst uns freundlich, mit sanften, flachen Wellen. Kaum Wind. Sonne. Endloser Himmel. Das faellt beim Segeln immer wieder auf: der endlose Himmel. Mit Kaya vorm Bauch knote ich Leinen und Fender ab und bleibe an Deck sitzen. Auch La Restinga wird langsam immer kleiner. Vom Wasser aus wirkt der Ort winzig und schaebig. Verloren kuscheln sich die wenigen Gebaeude an die rauhe Vulkanlandschaft, die feindselig ueber ihnen lauert. Das war unser kleines Paradies fuer einen Monat. Komisch. Von hier ist kaum mehr zu glauben, was an diesem gottverlassenen Nest paradiesisch sein koennte. Dass der Blick von weitem so taeuschen kann! Ich spuere den Wind im Gesicht und in den Haaren, die warme Sonne auf der Haut, Kayas sanften Atem an meiner Brust - und bin gluecklich. Eine ganze Weile sitzen wir einfach so. Ich singe alle Seemannsliedchen, die mir einfallen, und Kaya traeumt vor sich hin.
Michi arbeitet indessen eifrig an der Navigation, setzt Kurs und Segel und steuert Padmas Bug Richtung Kapverden. 7 Tage auf See. Here we go!
Die ersten Stunden verlaufen ruhig. Wir segeln bei etwa 8 Knoten Wind mit Gennacker (Leichtwindsegel) ueber ein beinahe spiegelglattes Meer. Abendessen im Cockpit, grandioser Sonnenuntergang.
Kaya schlaeft kurz nach dem Essen problemlos ein und wir wechseln uns ab mit den Nachtwachen. Zuerst bin ich dran. Es fuehlt sich gut an, draussen alleine im Cockpit zu sitzen, immer wieder mal einen Blick ueber den Horizont und auf die Instrumente zu werfen, und ansonsten die Gedanken treiben zu lassen. Alleine in dieser Endlosigkeit. Von El Hierro ist ab und an noch ein Flackern des Leuchtturms zu sehen. Sonst nichts. Nur das Wasser. Endlos tief, endlos weit. Ploetzlich ein Knall. Peng! Dann ein Ratschen, ein Zerren und Flattern - und in 13 Metern Hoehe ueber mir weht wild, gespenstisch in der mondlosen Nacht der Gennacker. "Michi!" Tief geschlafen hat er bestimmt nicht, den prompt erscheint Michis Kopf im Niedergang. "Unser Gennacker, da stimmt was nicht!" Wir schnallen unsere Stirnlampen an und versuchen, das immer wilder flatternde Segel zu baendigen. Michi erkennt als erster, was passiert ist: Segel gerissen! Keine 8 Stunden sind wir nun unterwegs und schon reisst das Segel! Ich will nach Hause. Mir ist ganz flau vor Angst. Aber Michi ist die Ruhe selbst, zeigt mir, was ich wo halten soll und gemeinsam bergen wir die zerfetzten Reste unseres Gennackers. Das war's dann mit dem traumhaften Leichtwindsegeln... Das Gute jedoch an dem Zwischenfall ist: Ich merke, dass tatsaechlich alles moegliche kaputtgehen kann auf so einer Reise, aber dass es deswegen noch nicht lebensbedrohlich ist. Natuerlich ist es schade um das Tuch (und wer weiss, wann und wo uns das jemand naehen kann!), aber verloren sind wir deswegen nicht. Dann setzen wir eben die Genua. Aber mittlerweile hat der Wind zugenommen, jetzt etwa 11 Knoten, und wir machen immer noch 4 bis 5 Knoten Tempo. Reicht doch.
Michi uebernimmt die Wache. Aber an Schlaf ist fuer mich kaum zu denken. Mein Herz pocht, alle denkbaren Albtraumszenarien spielen sich vor meinem inneren Auge ab. In der Vorschiffskoje liege ich mit dem Ohr quasi an den vorbeirauschenden Wellen. Es blubbert und gurgelt und zischt und spritzt und ich weiss: von der gurgelnden Tiefe trennen mich ein paar Millimeter Fiberglas. Ein Joghurtbecher. Jetzt sind wir wirklich der Natur und ihren Gewalten ausgeliefert. Immer wieder springe ich auf und sehe nach Kaya. Die schlaeft selig wie ein Gaensebluemchen. Die kennt Angst noch nicht. Jedenfalls noch nicht diese Angst, die einzig im Kopf existiert. Sie vertraut uns. Und schlaeft. Wenn man das selbst doch auch einfach so koennte! Ich weiss, dass diese Ueberfahrt fuer mich auch eine Uebung im Umgang mit Angst ist. Sieh es als Herausforderung, Nina! Sieh als es Chance zu wachsen! Dies ist eine Entwicklungsreise. Angst ist ein schrecklicher Feind, je mehr du die Kontrolle darueber gewinnst, um so besser. Aber es ist eben auch ein maechtiger Feind. Und wir ringen miteinander. Nicht nur waehrend dieser Nacht. Keiner hat behauptet, Uebungen im Umgang mit Angst waeren einfach.
Die naechsten Tage verschwimmen in meiner Erinnerung. Wachen und schlafen und essen und Kind unterhalten. Bilderbuecher lesen, auf dem Sofa kuscheln, Baelle werfen.
Geschirr spuelen mit Salzwasser. Im Cockpit sitzen.
Vor allem aber: immer und ueberall und bei allem, was man tut, festhalten. Das Schiff ist wie ein bockendes Pony, das staendig versucht, dich kalt zu erwischen und aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein falscher Schritt ohne Halt und man wird gegen den Tisch geworfen. Ruckartig. Zackig. Das ist nicht das sanfte Schaukeln einer Wiege, an dessen gleichmaessigen Rhythmus man sich gewoehnen, den man sogar lieb gewinnen koennte. Nein. Es ist ein staendiger Kampf um die Balance. Und er zermuerbt die Nerven. Die Wellen nehmen zu, der Wind auch. Die Bewegungen des Bootes werden extremer. Das Schlimmste ist, dass es keine Moeglichkeit gibt, sich eine Ruhepause zu nehmen, sich um sich selbst zu kuemmern. Es ist staendig alles in Bewegung und es ist staendig laut. Das ist das andere. Man koennte meinen, so fern ab von jeder Zivilisation, mitten auf dem Meer, koennte man der Stille begegnen. Falsch. Neben dem Gurgeln der Wellen am Bug gibt es tausend andere Geraeusche, die alle ununterbrochen an den Nerven knabbern, unabstellbar, unveraenderbar. Das Holz knarzt, das Geschirr in den Schraenken klappert und scheppert, Gegenstaende, die nicht sofort wieder verstaut werden, rutschen, schaben, kullern durchs Boot, Tampen knallen, Segel knattern, Umlenkrollen klackern. Foltermethoden funktionieren auch so: der Koerper wird mit Sensationen gequaelt, auf die das gefolterte Individuum keinen Einfluss nehmen kann. In einem freien, selbstbestimmten Leben wuerde ich mich zurueckziehen, wenn ich Ruhe brauche, schlafen, wenn ich muede bin, raus gehen, wenn ich Bewegung brauche. Hier aber bin ich ausgeliefert. Ich brauche Schlaf, kann aber bei dem Geschaukel und Krach nicht schlafen. Ich brauche Bewegung, kann aber nirgendwo hin. Ich brauche Ruhe, kann sie aber nicht bekommen.
Am 4. Tag auf See drehe ich durch.
Am 5. Tag habe ich mich wieder im Griff. Weinen und Klagen hilft ja auch niemandem. Zum Trost goenne ich mir eine warme Dusche. Bloss weil wir ueber den Atlantik segeln, muessen wir ja nicht verwahrlosen!
Jetzt ist auch die Ankunft zum Greifen nahe. Auf dem Chartplotter sind bereits die Kapverden zu sehen, wenn auch noch nicht am staubigen Horizont.
Das Segeln macht wieder Spass. Es ist wieder Abenteuer, lebendig, aufregend. Land in Sicht! Am 7. September geht die Sonne golden ueber einem freundlichen Ozean auf.
Und ich weiss: Keine weitere Nacht mehr auf See. Bei gutem Wind werden wir noch vor Sonnenuntergang unseren Zielhafen Mindelo erreichen. Was fuer ein Gluecksrausch, als tatsaechlich im Laufe des Tages die Silhouetten der Inseln am Horizont auszumachen sind.
Erst noch sehr vage, im Dunst, dann immer deutlicher. Mindelo, wir kommen! Wie zur Begruessung springt direkt neben uns ein ganzer Schwarm fliegender Fische lebensfroh aus den Wellen. Wir kennen sie schon, allerdings habe ich bisher noch keinen lebend gesehen. Michi hatte in der ersten Nacht einen beobachtet, der aufs Deck klatschte, und konnte ihn wieder ueber Bord werfen. Sonst haben wir immer nur am Morgen tote Exemplare vom Deck aufgelesen. Einmal war auch ein ganz winziger dabei. Der Arme!!
Immer deutlicher treten jetzt die gezackten, scharfkantigen Berge von Sao Vicente aus dem Dunst hervor. Unser Kurs ist hervorragend, wir fahren direkt auf die Hafeneinfahrt zu!
Quarantaeneflagge setzen, Segel bergen, Fender raus, Leinen bereit...Und eh wir uns versehen, haben wir auch schon am Steg festgemacht. Land! Land! Land!
Kaya und ich machen unsere ersten wackeligen Schritte auf festem Boden - noch sehr wackelig! Ich bin erschoepft, verschwitzt, uebermuedet, aber stolz wie Oskar. Und 5 cm groesser. Und der Angst hab ich's gezeigt! Yeah!!!!
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