
Nach dem Mittagessen machen wir einen Dinghy-Ausflug zu dem riesigen 35-Meter-Schiff, das leuchtend rot hinter uns ankert und mit seinem traditionellen Rigg extremst malerisch aussieht. Gestern hatten wir Annalies, die Co-Skipperin, am Strand kennengelernt und waren eingeladen worden, mal vorbeizuschauen.
Als wir ankommen, steigt Annalies gerade mit drei wuseligen Hunden in ihr eigenes Schlauchboot. Gassi gehen bekommt auf einem Segelboot auch ganz neue Konnotationen. Da muss man erstmal zum Strand tuckern, bevor irgendwer Gassi gehen kann. Und bei der Welle, die hier gerade in die Bucht rollt und die Dinghys lustig herumhüpfen lässt, ist das Ein- und Aussteigen echt eine Kunst. Wie aus einem fahrenden Aufzug rauszuspringen. Annalies bleibt gelassen, verfrachtet die japsenden Hunde gekonnt auf ihr Boot, wirft den Außenbordmotor an und braust winkend davon. Jetzt sind wir dran. Eugene, der amerikanische Besitzer und Skipper dieses gigantischen Schiffes, hilft uns, an Bord zu kommen. Von hier unten könnte man sich eher in einer Fähre wähnen, statt in einem Segelboot. Wir klettern von dem Dinghy auf eine massive, herausstehende Plattform, von dort geht es durch eine schwere Stahltür nach drinnen. Der Geruch, die Akustik hier drin, das entfernte Brummen des Generators, das Gefühl des kühlen Metalls an den Händen - all das erinnert an frühere Familienurlaube, als wir mit unseren kleinen Kinderrucksäcken staunend aus dem Auto im Unterdeck stiegen, an den Händen der Eltern durch den Geruch von Diesel und Öl hindurch zur Treppe gingen und die steilen Stahlstufen erklommen, im Vorbeigehen die massive Schwere all der Türen um uns registrierend, auf denen meistens in großen Druckbuchstaben der Durchgang für uns Passagiere strikt verboten wurde
Heute steht uns genau so eine Tür offen, durch die wir nun (mindestens genauso staunend wie damals) Eugenes stolzes Segelschiff "Lagaren" betreten. Und was für ein Schiff! Man sah ja schon aus der Entfernung, dass es groß ist, aber die schieren Ausmaße verblüffen dann doch, wenn man sich innen drin befindet. In Analogie zum Immobilienmarkt könnte man sagen: Padma ist ein winziges, kuscheliges Einzimmerappartment, Lagaren eine zweistöckige Altbauvilla mit Keller, ziemlich zugerümpelt. Tatsächlich lernen wir bei unserer Tour durch die Stockwerke, dass Eugene auch sein Motorrad hier geparkt hat, dass es eine Sauna gibt, eine eigene Vorratskammer, mehrere Zimmer (richtige Zimmer!) und einen Maschinenraum, in dem allein Padma Platz finden könnte. Das Herzstück des Ganzen jedoch ist das Wohnzimmer. Eine Treppe tiefer, unter der Küche, befindet sich ein gigantisch großer Raum. Rechts und links, angepasst an die Rundung des Schiffsrumpfes, sind Regale eingebaut, vom Boden bis zur Decke, in denen eine umfangreiche Biblio-, Audio- und Videothek ihren Platz hat.
Im vorderen Teil des Raumes gruppieren sich um einen Megaflachbildfernseher alle denkbaren Instrumente: Gitarren, ein Cello, ein elektronisches Klavier, ein Schlagzeug, Mischpult, Boxen, kurz: ein gesamtes Musikstudio. Davor flauschige Teppiche, ein Sofa, Kissen, dann ein Esstisch mit schweren Holzstühlen. Im hinteren Ende ist ein Ofen eingebaut, offenes Kaminfeuer ist hier also auch machbar. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus, schließlich habe ich mich in den letzten Monaten auf eine andere Art des Lebens, eine sehr spartanische, eingestellt. Und dass Menschen an Land anders leben, ist mir schon klar.
Aber dass man auf einem Segelboot auch anders wohnen kann, das wirft mich um (nun gut, da ist Eugene nun auch echt eine ziemliche Ausnahme - und ich möchte gar nicht wissen, was dieses Schiff laufend kostet). Bei der Tour erfahren wir auch viel über ihn, seine Lebensgeschichte, seine Träume und Ideen. "Basically, I just wanna be a good man. That´s all I want in life. Be a good man." Mit seinem Piratenbart, dem nackten, tätowierten Oberkörper, dem chromglänzenden Chopper im Schiffsbauch und überhaupt all diesen angesammelten Statussymbolen (inklusive des Schiffes selbst) könnte er einen anderen Eindruck vermitteln. Aber ich glaube ihm. Er ist Amerikaner, er hat Geld, er gibt es aus für Dinge, die ihm Freude machen. Aber mein Herz springt ihm entgegen. Er ist einer von den Guten, trotz allen Äußerlichkeiten, das spürt man.
Wir wollen nochmal an Land, also laden wir Eugene und Annalies zum Abendessen ein und verabschieden uns vorerst. Uns lockt die kleine Insel neben der Ankerbucht. Wenn das mal kein posterreifer Sandkasten ist!

(Im Hintergrund sieht man übrigens am Bildrand rechts Lagaren dümpeln).
Was das Bild allerdings nicht zeigt, ist dass die Insel leider von Müll übersäht ist. Plastikflaschen, Glasscherben, Plastiktüten, Sandalen, Plastikdeckel... Gruselig. So posterreif ist der Sandkasten dann doch nicht. Und kühl wird es auch langsam. Wir gesellen uns noch ein bisschen zu einem Grüppchen Kapverdianer, die mit viel Alkohol und Gitarre im Sand sitzen...

...und kapverdianische Sehnsuchtslieder spielen. Kaya darf auch mal:

Dann geht's wieder ab ins Dinghy und nach Hause. Wir müssen ja auch noch Essen vorbereiten.
Annalies und Eugene sind spannende Gesellschaft. Ich merke bei den Unterhaltungen über unserem Kürbisrisotto mal wieder: Das ist wirklich etwas, was mir am Reisen gefällt und was ich sonst so nicht habe. Neue Menschen. Immer wieder. Neue Geschichten. Neue Perspektiven. Neue Fragen an einen selbst, auf die man neue Antworten finden kann. Neue Inspiration. Neue Lebensenergie. Das ist ein Geschenk. Und ich bin dankbar dafür.
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